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DER WERT DER KUNST

DER WERT DER KUNST


Im Zuge der Transformation der Industriegesellschaft zur Informations- und Wissensgesellschaft gewinnen immaterielle Werte an Wert. In Unternehmen sind diese Werte Bestandteil des Geschäftsberichts und Sache des Chefs. Auch wenn ihre materielle Bewertung Schwierigkeiten bereitet, besteht Konsens über deren Wertigkeit für Philosophie, Strategie und Targeting eines Unternehmens. Ausgangspunkt ist stets der ihnen beigemessene, innere, der „gelebte“ Wert. Ähnlich verhält es sich mit der Kunst. Ein Gemälde, eine Radierung, eine Photographie, eine Skulptur- sie alle haben meistens geringen Materialwert. Der innere Wert bemisst sich an der Bedeutung, der ihnen beigemessen wird. Das muss nicht die Merkantilisierbarkeit eines Kunstwerkes sein; so viele gewaltige Gemälde hängen irgendwo in den Privaträumen der New Economy People. Hier dient der bloße Besitz der Demonstration der eigenen Prosperität. Hier spiegelt sich der Wert der Kunst nicht, jedenfalls nicht der innere Wert. Die Begründer der Expression hingegen aufzuzählen, die mit Gemälden ihre Mieten für zugige, schimmelige und vor dem Verfall stehende Zimmer in Paris bezahlt haben bzw. bezahlen durften, würde jeden Rahmen sprengen. Picasso gehörte zu ihnen, van Gogh, Henri Toulouse-Lautrec. Heinrich Zille hat seinen Lebensunterhalt mit seinen Skizzen notdürftig bestritten. Heute akzeptiert kein Vermieter mehr dieses Zahlungsmittel. Dabei - und das missachtet, vernachlässigt oder bestenfalls übersieht die Politik - ist Kunst gerade und vorrangig in Krisenzeiten Sehnsuchtsort, Alltagsflucht und Seelenbalsam für die Menschen. Belege dafür? Die Gemälde der Hutus und Tutsi, die sie während des Bürger-Krieges in Ruanda mit ihrem eigenen Blut und mit ihren Fingern gemalt haben, andere Farbe und Pinsel hatten sie nicht. Unmittelbar nach dem II. Weltkrieg zeichnen im Ruhrgebiet Künstler mit Kohlestücken ihre Werke auf Hauswände. Vertikale Pflastermaler, die Trottoirs waren ja weitgehend zerstört, wofür sie Pfennige erhalten. Oder auch neue Kohlestücke, mit denen sie ihre Behausung in den Kellern zerbombter Häuser wärmen. Sie bekamen Kohle für Kunst, und gaben Kunst für Kohle. Das war der Anfang der Ruhrfestspiele in Recklinghausen, die heute noch unter dem Motto existieren: „Kunst für Kohle, Kohle für Kunst.“ Ob und womit die Höhlenmaler von Lascaux entlohnt wurden, wissen wir nicht. Die Graffiti-Maler, die sich mit bitterer Ironie an der Berliner Mauer verewigt haben, haben keine Kohle gesehen dafür, diesem Schreckensmonument, das den Todesstreifen des Giganten-Gefängnis DDR umgrenzte, wo Menschen wie Peter Fechter als erster und Chris Gueffroy als letzter „Republikflüchtling“ erschossen wurden, eine bizarre Ästhetik zu verleihen. Teile der Mauer sind nach 1989 weltweit als Kunststücke zu extremen Preisen auktioniert worden. Die Eastside Gallery mit dem Superstar aller Graffitos, dem Bruderkuss der Genossen Erich und Leonid, ist heute Touristenmagnet. Mit nackten Betonwände wäre sie das nicht. Die große Politik hat keinen Begriff von Kunst, was am Berliner Umfeld liegen mag, aus dem die Galeristin Julia Stoschek und der Kunstsammler Friedrich Christian „Mick“ Flick die Flucht ergriffen haben. Fehlender Sachverstand, von Ignoranz genährt, nennen sie als Grund für die Aufgabe ihrer Standorte. Diese Termini lassen sich auch für die unterschiedslosen COVID19-Maßnahmen der Bundesregierung konstatieren, die die Schließung von Museen und Galerien seit heute vorsehen. Baselitz, Kiefer oder Richter werden wir wohl nicht als Pflastermaler erleben. Dieses Schicksal droht eher denen, deren Namen noch nicht die Strahlkraft der Genannten haben. Kunst ist das Baby einer uns innewohnenden Kreativität, das Maler im Lockdown nun ausführlich säugen können. Fotografen haben im herbstlichen November auch ihre Chancen, wenn auch diese meteorologisch bedingt hierzulande schmaler sind. Nur: die Lebenshaltung bestreiten wir mit Verkauf, der nun nicht stattfindet. Jede Stadt sollte daher einen Place du Tertre einrichten, wo Künstler und Kunstliebhaber sich auch in diesen Zeiten begegnen können. Die Menschen sehnen sich nach Kunst, das ist der eigentliche Wert der Kunst.


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